Der Zusammenbruch der Herstatt Bank

Das standesgemässe Grab von
Iwan David Herstatt

Der in Köln geborene Iwan David Herstatt übernimmt im Jahre 1955 das Bankhaus Hocker & Co. und gründet daraus die «I.D. Herstatt KgaA», zusammen mit seinem Jugendfreund Hans Gerling, der 81,4% an dem Unternehmen hält. 1957 wird das neue Bankhaus in der Kölner Innenstadt eröffnet. Bis 1974 vertrauen 52'000 Kunden der Bank ihr Geld auf 78'000 Konten und 15'000 Depots an.

 

Unkontrollierter Devisenhandel

Nach dem Wegfall der Kopplung der europäischen Währungen an den US-Dollar (Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1973, im Zuge der Ölkrise) entwickeln sich Spekulationen mit Devisen zum Kernstück des Bankgeschäfts. Abgewickelt werden diese Geschäfte durch die «Goldjungs«, sechs sehr junge Mitarbeiter, alle Anfangs Zwanzig. Angeführt wird die Gruppe von Dany Dattel. Die Devisenabteilung arbeitet weitgehend ohne Kontrolle und mit wenig Kontakt zu den anderen Geschäftsbereichen. Die «Goldjungs» dürfen nur bis zu 10 Mio. Dollar Devisen pro Person kaufen. Diese Begrenzung umgehen sie jedoch durch den Einsatz von Strohmännern. Aufgrund der damals noch nicht gewohnten und futuristisch wirkenden Computertechnik und der weltumspannenden Kommunikationsleitungen wird dieser Bereich bankintern «Raumstation Orion» genannt, in Anlehnung an die damals populäre Fernsehserie Raumpatrouille Orion.

 

Fehlspekulation auf den steigenden Dollar

Im Jahr 1973 beträgt der Gesamtumsatz an Devisen 63 Mrd. DM, dies entsprach etwa der Hälfte des Bundeshaushalts der BRD. Das Volumen der Dollarspekulation hatte eine Grösse von 8 Mrd. DM, so dass eine Kursschwankung von 1 Prozent 80 Mio. DM Gewinn oder Verlust ergab. Die Goldjungs setzen auf einen steigenden US-Dollar. Warnende Worte des Risk-Managements sorgen bei Mitgliedern des Vorstandes und des Aufsichtsrates nur für Heiterkeit. Doch der steigende Dollarkurs tritt nicht ein, der Kurs fällt ab Anfang 1974. Auf Nachfrage erklärt Dattel gegenüber Herstatt, dass man den Verlust von 400 Mio. DM auf 100 Mio. DM drücken könne, falls sich der Dollar positiv entwickle. Dem steht damals ein Gewinn von 200 Mio. DM aus anderen Geschäften gegenüber. Am 16. Juni 1974 teilt Herstatt dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Gerling einen Verlust von 500 Mio. DM mit, bei einem Eigenkapital von 77 Mio. DM.! Am 26. Juni 1974 ordnet das deutsche Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen die Schliessung der Schalter in Köln und Bonn an. Tags darauf kommt es in Köln zu Tumulten vor der Bank. Die Polizei muss das Gebäude sichern, die deutschen Aktienkurse fallen. Der Schaden wurde damals auf rund eine halbe Milliarde Mark geschätzt. In Wirklichkeit betrugen die Verluste, wie sich später herausstellen sollte, 1,2 Milliarden D-Mark.

In einer von der Bundesbank in Frankfurt/Main veröffentlichten Erklärung hiess es, bei Herstatt sei «wegen starker Verluste bei Devisen-Termingeschäften», die in den Büchern unrichtig dargestellt worden seien, eine starke Überschuldung eingetreten. Auch nach Gesprächen mit den Grossaktionären, den Grossbanken habe man keine Möglichkeit gesehen, das Bankgeschäft fortführen zu lassen. Bankchef Herstatt sah dies bis zu seinem Tode im Jahre 1995 völlig anders. Dass der Konkurs nicht notwendig gewesen sei, beweise «allein die hohe Auszahlungsquote an die privaten Gläubiger», wie Herstatt in seinem im Jahre 1992 erschienen Buch «Die Vernichtung» schrieb.

 

Verluste für die Kunden der Bank

Es gelingt, aus dem Restvermögen der Bank, einem Feuerwehrfonds der deutschen Privatbanken und dem Vermögen von Herstatt und Gerling, die Gläubiger grösstenteils auszuzahlen. Hans Gerling verkauft zur Befriedigung der Ansprüche 51% der Anteile an der Gerling-Holding an ein Deutsches Industriekonsortium (VHDI) und die Deutsche Bank.

Privatkunden erhalten ihre Einlagen zu mehr als 80% zurück, Sparer mit Einlagen unter 20.000 DM zu 100 %, Banken und Kommunen zu 65,4%. Unter ihnen befinden sich auch die Stadt Köln mit 190 Mio. DM, die Stadt Bonn mit 12,2 Mio. DM und das Erzbistum Köln.

Die letzten Auszahlungen an die Gläubiger konnten wegen der komplexen Probleme erst Ende 2006 erfolgen. Insgesamt wurden Banken und Kommunen ihre Forderungen zu 73,5% und privaten und sonstigen Gläubigern zu 83,5% erfüllt.

 

Die Prozesse

1984 wird I.D. Herstatt zu einer Freiheitsstrafe von 4 1/2 Jahren verurteilt. Der BGH hebt dieses Urteil auf und Herstatt wird 1987 zu einer Bewährungsstrafe von 2 Jahren wegen Untreue verurteilt und die Strafe Anfang der 90er Jahre erlassen. Sechs andere Manager werden freigesprochen oder erhalten milde Strafen, im schlimmsten Falle werden 7 Jahre Freiheitsstrafe ausgesprochen. Dany Dattel wird für verhandlungsunfähig erklärt, da er unter dem sogenannten KZ-Syndrom leidet (als Vierjähriger hatte er gemeinsam mit seiner Mutter einige Monate im Nazi-Konzentrationslager Auschwitz zugebracht). Noch heute klagt Dattel auf Geld aus den Devisengeschäften, 7000 Gläubiger warten noch auf Restausschüttungen. Solange diese Verfahren nicht rechtskräftig entschieden sind, kann die Abwicklung des Unternehmens nicht abgeschlossen werden. Die I.D Herstatt KGaA befindet sich daher immer noch in Liquidation.

Am meisten Aufsehen erlangte eine zivilrechtliche Klage der «Interessengemeinschaft der Herstatt-Sparer» gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen möglicher Amtspflichtsverletzungen des Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, als damals für die Bankenaufsicht zuständige Behörde. Der Bundesgerichtshof erkannte auf die Möglichkeit der Verletzung gewerbepolizeilicher Verpflichtungen aus dem Kreditwesengesetz und der möglichen Haftung der Bundesrepublik.

 

Konsequenzen

In der Folge des Herstatt-Konkurses gründeten die deutschen Banken einen Einlagensicherungsfonds, um ihre Sparer vor den Folgen einer Banken-Insolvenz zu schützen, dem Komplettverlust ihrer Einlagen.

Ausserdem wurden unmittelbar in der Folge der Herstatt-Affäre die Gesetze über Antragsfristen für Konkurs- und Vergleichsverfahren verschärft. Auch die Gründung der Liquiditäts-Konsortialbank steht unter dem Eindruck dieser Bankenkrise.

In der Folge der Herstatt-Entscheidung zur Amtshaftung wurde das Kreditwesengesetz verschärft und die bisherige Regelung, nach der die Bankenaufsicht im öffentlichen Interesse tätig werde durch eine Regelung ersetzt, nach der die Bankenaufsicht nur im öffentlichen Interesse tätig werde. Durch dieses Wort ist eine Haftung aufgrund von Amtspflichtverletzungen künftig ausgeschlossen.

Weltweit wurde die Bankenaufsicht verschärft, so auch in der Schweiz.

Auf die Geschehnisse rund um die Kölner Herstatt-Bank zurück geht auch der finanztechnische Terminus «Herstatt Risk». Es bezeichnet das Kredit-Risiko in Fremdwährungs-Geschäften und Mehrfach-Währungs-Transaktionen, die einen Austausch von Zahlungen in verschiedenen Währungen beinhalten. In den allermeisten Fällen ist es unmöglich, die exakt simultane Ausführung der Zahlungen zu arrangieren. Solange noch nicht beide Zahlungen erfolgt sind, riskiert daher diejenige Partei, welche die erste Zahlung macht, den Verlust der Summe der zweiten Zahlung, sollte die Gegenpartei ihrer Verpflichtung nicht nachkommen können.

Es waren nämlich nicht die reinen Verluste, welche die Herstatt-Bank zu Fall gebracht hatten. Die ganze Sache flog erst auf, als eine Transaktion im Wert von mehreren Dutzend Millionen Mark wegen Schwierigkeiten im internationalen Zahlungs-Abwicklungs-System für mehrere Tage quasi «hängenblieb» (Mark weg bei Herstatt, aber Dollar noch nicht gutgeschrieben). Die daraus resultierende Liquiditätskrise brach der - natürlich bereits arg geschwächten - Bank das Genick.

 

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Kommentar

Neue Technologien und ein geändertes finanztechnisches Umfeld ermöglichten es, einem jungen Team zu Anfang des damals neuartigen weltumspannenden Devisenhandels bisher ungeahnte Gewinne zu machen - alle freuten sich. Doch keiner der gestanden Bankfachleute hatte den wirklichen Durchblick. Sie gestehen das aber nicht ein, solange es aufwärts ging, legten sie ihre Hände in den Schoss und verkauften sich sogar mediengeil als Zukunftsbanker. Den Schaden bezahlen die Bankkunden, die seriösen Bankmitarbeiter und die Allgemeinheit.

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