Kleine Bank mit grossem Zins
Ernst Brunner wurde am 30. Juni 1917 in Luzern
geboren. Seine Mutter war eine der Kunst und der
Lebenslust zugeneigte Sizilianerin, sein Vater
Standesbeamter. Nach dem Handelsdiplom
gründete Ernst Brunner eine Agentur für
Veloversicherungen, später eine allgemeine
Versicherung und schliesslich ein
Treuhandbüro. 1946 schliesslich eröffnete
er die Ernst Brunner & Cie., seine Bank. Die
florierte nicht zuletzt dank dem Kapital, das
Brunner mit seiner Firma Panchemie verdiente, die
in den vom Krieg zerstörten Ländern
Insulin verkaufte. Später kam auch die Firma
Ernst Brunner, Industrie- und
Handelsfinanzierungen, dazu. 1958 wurde die Bank
vergrössert und 1965 in eine
Aktiengesellschaft umgewandelt. Als die Bank ein
Jahr später ihren 20. Geburtstag feierte,
betrug ihre Bilanzsumme acht Millionen Franken, was
sie zu einer kleinen, aber feinen Bank machte.
Bekannt wurde sie, weil sie auf Spareinlagen 11
bis 18 Prozent Zins bezahlte, und Ernst Brunner war
sich nicht zu schade, mit Bierharassen im
Kofferraum zu den Baustellen der Stadt zu fahren,
den Arbeitern eine Kiste zu spendieren und sie
beiläufig auf den vorteilhaften Zins
aufmerksam zu machen, den seine Bank gewähre.
Zum Jubiläumsempfang der Bank erschien aber
nicht die Arbeiterklasse, sondern allerhand
Prominenz aus Wirtschaft und Militär; aber
auch Politiker wie der Regierungs- und Nationalrat
Werner Kurzmeyer, Stadtrat Hans Ronca oder Daniel
Bodmer, Sekretär der eidgenössischen
Bankenkommission, delektierten sich am Buffet aus
der Küche und dem Weinkeller des Hotels
Schweizerhof. Noch bevor Chopin und Vivaldi gegeben
wurden, hielt der Präsident des
Verwaltungsrates, Oberstdivisionär Max Waibel,
die Festansprache: «Gewiss, im Zeitalter der
Milliardenbudgets, des Trends vom Grossen zum
Grössten, vermögen einstellige
Millionenziffern kaum mehr Eindruck zu machen.
(...) Ich glaube (aber), dass gerade das Kleine,
das Masshalten, das gewollte Begrenzen mit zu den
Wesenszügen unserer schweizerischen Eigenart
gehört.»
Paradiesvogel unter grauen
Mäusen
Bloss, dass Ernst Brunner kein der
schweizerischen Eigenart verpflichteter Bankier
war. Er hatte seine Tugenden, er war warmherzig,
witzig und intelligent, aber die Bescheidenheit
gehörte bestimmt nicht dazu. Er gab die
rauschendsten Partys, fuhr das grösste Auto,
trug die extravagantesten Anzüge, und sein
Ehering war, wie er gern erzählte, mit
zwölf Diamanten bestückt. Auf dem
begrenzten Platz, den Luzern einem wie ihm bot, war
er der Hirsch; ein kleiner Gatsby der Provinz. Die
Journalistin Eva Roelli, die damals für das
«Luzerner Tagblatt» schrieb und so Ernst
Brunner kennenlernte: «Unter all den grauen
Prominenten und Halbprominenten, die Luzern zu
bieten hatte, war er ein Paradiesvogel. Er war
anders, fröhlich und schlitzohrig, und das
gefiel den Leuten.» Roelli erinnert sich an
eine Angestellte in Brunners Bank, die nicht nur
ihre Putzkraft, sondern auch ihr Geld in die Bank
investierte: «Als sie nach dem Zusammenbruch
der Bank ihr Geld verloren hatte, sagte sie, es sei
ihr egal. Sie habe Brunner immer sehr
gemocht.»
Die gewiefte Journalistin selber hätte
Brunner freilich nie ihr Geld anvertraut:
«Nicht, dass man ihn nicht für
seriös gehalten hätte. Aber es fiel schon
auf, dass die vorsichtigen Leute eher Distanz zu
ihm hielten, auch wenn sie wie alle anderen seinen
Einladungen gerne folgten. Und sie erhielten ja
recht: Sein Ende war nicht völlig
überraschend. Eher logisch,
eigentlich.»
Salonlöwe und
Künstlerfreund
Ernst Brunner berauschte sich an der
Gesellschaft, und ständig steigerte er die
Dosis. Er gründete und präsidierte den
Verein Schweiz-Österreich, der es ihm zum
Beispiel ermöglichte, den Kulturattaché
des Nachbarlandes oder ein Streichtrio der Wiener
Philharmoniker in seine Bank einzuladen. Er war,
als notorischer Weinkenner und Gourmet, Consul du
Canton de Lucerne de l'Ordre des Coteaux de
Champagne in Reims, er war Docteur des
Maîtres de la Table in Paris, er war Officier
de la Confrérie de la Chaîne des
Rôtisseurs, war Chevalier du Tastevin,
Compagnon du Guillon, Membre d'honneur du Cercle
des Chefs de Cuisine in Luzern, und als ihn der
städtische Reitclub nicht so schnell
aufsteigen liess, wie ihm dies vielleicht
vorschwebte, gründete Ernst Brunner den
Reitclub St. Martin, wo er einem beeindruckenden
Harst an prominenten Reitern der Präsident
sein durfte.
Das Geld, das er in der Bank oder in der Chemie
verdiente, investierte er aber nicht nur in die
Küche und die Bestückung seines Kellers,
sondern auch in die Kunst. Schon bald nach dem
Krieg hatte Brunner eine Konzertagentur
gegründet, die in Luzern eines der ersten
Nachkriegskonzerte der Wiener Philharmoniker
veranstaltete, und in den Räumen seiner Bank
eine Kunstgalerie eröffnet. Er wäre ja
selber gerne Künstler geworden, der
spätere Bankier, und bis zu seinem Ende
unterliess er es an seinen Partys selten, sich ans
Klavier zu setzen und einen Swingstandard
rauszuhauen. Verliess Brunner eine Gesellschaft,
erging die Order, sich im Weinkeller weiterhin
recht schön zu bedienen, bloss eines nicht
anzurühren: die Hammondorgel.
Als Eva Brunner ihm mit einigem Zittern
mitteilte, sie gedenke Schauspielerin zu werden und
mit einer Standpauke rechnete, sagte der Stiefvater
nur, dass dies ein anständiger und
schöner Beruf sei, den er gerne selbst
ausgeübt hätte. Die Tochter hat auch den
nächsten Satz nicht vergessen: «Aber ich
könnte ja doch nur immer mich selber
spielen.» Ernst Brunner spielte seine
Lebensrolle gut, vielleicht zu gut, und doch
überzeugte er damit nicht alle.
Gerade unter den Künstlern, um die er sich
so bemühte, gab es die, denen der Mann mit der
Bank fremd blieb, ein Kapitalist letztlich. Er
kaufte zwar ihre Bilder, und an seinen Partys
erlagen sie durchaus dem Esprit des Klassenfeinds
(und wohl auch dem Gaumenkitzel der bis zu 14
Gänge, über die sich ein Bankett in der
Villa Brunner hinziehen konnte). Doch wurde
Brunner, so sehr er dies wohl gewollt hatte, keiner
der ihren. Wenn er nicht da war, nannten sie ihn
«Ernstli», und bedeuteten so, dass sie
ihn nicht ganz ernst nahmen. Der Kunstmaler Peter
Dietschy, der vor 40 Jahren bei Brunner seine
Bilder zeigte und dem Bankier auch zwei, drei
Stücke verkaufte, sagt: «Ja, ich hielt
Distanz zu ihm. Es gab Künstler, die ihm
wirklich nahe waren und die man vermutlich als
seine Freunde bezeichnen könnte. Für mich
war er eher ein Gesellschaftshengst, der sich mit
Kunst umgibt, weil es zum guten Ton gehört. Er
hat zum Beispiel nie mein Atelier besucht. Das
zeigt mir, dass er weniger an der Kunst als an
ihrem Besitz interessiert war. Aber ich gebe gerne
zu, dass man als Künstler natürlich
Respekt hatte - vor seinem Geld, nicht
wahr.»
Wie beliebt Ernst Brunner wirklich war, wenn er
mal wieder im Mittelpunkt stand, ist schwierig zu
sagen. Ruedi Hopfner, der den Bankier für das
«Vaterland» immer wieder fotografierte,
glaubt wohl zu Recht, dass es manche gab, die ihn
wirklich mochten, und andere, die seine Nähe
aushielten, um Bilder zu verkaufen oder etwas vom
Glanz abzukriegen, den er grosszügig
versprühte. Umgekehrt sei aber auch nicht
klar, wie sehr Brunner die Künste geliebt habe
und wie sehr bloss das Künstlermilieu, das
seine Selbstinszenierung so illuster rahmte.
Der grosse Abgang und der grosse
Ausverkauf
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Ernst Brunner als Trauzeuge bei der
Hochzeit der Schauspielerin Heid Pfister
in Blatten
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Ernst Brunner war zwar kein Schauspieler, aber
gewiss ein Spieler. Nach ihren Recherchen hält
Eva Brunner nebst der Egozentrik den Spieltrieb
für die zentrale Eigenschaft ihres
Stiefvaters. Dass er von einer kriminellen Energie
getrieben war, glaubt sie nicht. Sicher ist, dass
Brunners Geschäfte gegen Ende der
Sechzigerjahre heillos verstrickt waren - in einem
Geflecht von Firmen, die sich gegenseitig
Aufträge, Geld und Luft gaben, bis nichts
davon mehr übrig war. Viele Finanzaktionen,
die Brunner mit seiner Einzelunterschrift
tätigen konnte, tauchten nie in der
Buchhaltung auf. Um Löcher zu stopfen, nahm
er, wie die Konkurskommission später
vermutete, auch nicht versteuertes Geld auf. Wie
genau Ernst Brunner jahrelang seine Geschäfte
führte, wie er Gläubiger, Verwaltungsrat
und Revisoren täuschte und beschwichtigte, ist
bis heute nicht im Detail geklärt.
Eva Brunner hatte bei den Recherchen für
ihr Stück zwar Einblick in die Konkursakten,
über die Auslandgeschäfte von Brunners
Firmen fand sich darin aber nichts: «Die
Konkurskommission war damals auch nicht
weitergekommen», sagt die Autorin, «und
ihr Auftrag war ja auch nicht, alles restlos
aufzuklären, sondern den Gläubigern so
viel Geld zu sichern wie möglich».
Am 23. Februar 1972 zerfiel nach Brunners
Selbstdarstellung auch seine Bühne: Das
Konkursamt liquidierte sein Vermögen in der
Villa Anna-Maria. Das Inserat, mit dem das Amt zum
Ausverkauf rief, zeigt, wie sich in Ernst Brunners
Leben der bürgerliche Pomp und die Kunst nahe
kamen: Die lange Liste führt einen
Steinway-Flügel, mehrere antike
Jagdhörner, eine Lithografie von Dalì,
das «Paar mit Früchten» von Chagall
und ein Stillleben von Braque neben Bildern von
Charles Wyrsch, Hans Schärer, Max von Moos,
Pöldi Häfliger, Erwin Schürch, H.R.
Ambauen, E.A. Meyer oder Peter Dietschy. Es gab
zahllose Landschafts-, Denkmal-, Pferde- und
Pflanzenstiche neben grossen Beständen an
Alt-Meissen-Porzellangeschirr, einem
Louis-XVI-Ziertischchen, Perserteppichen und einer
umfangreichen Bibliothek. Eva Roelli berichtete im
«Luzerner Tagblatt», auch eine weisse
Weste sei zum Verkauf gestanden. Nach drei Stunden
war sie weg, die Villa war leer. Die Hammondorgel
war verkauft, und auch der Ehering, dessen
Diamanten, wie die Untersuchung durch Juwelier
Ruckli gezeigt hatte, falsch waren.
Konkurs der Bank
Am 18. Dezember 1970, elf Tage nach Brunners
Tod, ersuchte die Bank Ernst Brunner & Co. AG
um Nachlassstundung. Am 20. Januar 1971 erschoss
sich auf einer Wiese Max Waibel,
Verwaltungsratspräsident der Bank -
«offensichtlich eine Folge seines starken
Verantwortungsbewusstseins», wie das
Statthalteramt schrieb. Im Februar 1971 sagte
Daniel Bodmer von der eidgenössischen
Bankenkommission in den «LNN - fünf Jahre
früher hatte er mit Ernst Brunner auf dessen
neue Geschäftsräume angestossen:
«Der Fall Brunner ist ein typisches Beispiel
für eine verantwortungslose
Geschäftsgebarung durch einen
Pseudobankier.»
Mitte 1971 wurde der Konkurs eröffnet. Es
blieben Schulden von 12,5 Millionen Franken. 1977
verurteilte das Luzerner Kriminalgericht zwei
ehemalige Angestellte der Bank Brunner wegen
ungetreuer Geschaäftsführung, der
Bevorzugung von Gläubigern und
Urkundenfälschung zu Gefängnisstrafen.
Ernst Brunners Welt war da längst implodiert.
Nichts war davon übrig. Es sei ja keine
homogene Gesellschaft gewesen, die Ernst Brunner
umgab, sagt der Fotograf Ruedi Hopfner: «Sie
war nur durch ihn definiert. Als er starb, zerstob
sie in Nullkommanichts.»
«Blauensee», Hörspiel von Eva
Brunner, Regie Fritz Zaugg
CD-Veröffentlichung im Christoph Merian
Verlag, Basel, Fr. 19.90.
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