|
|
|
Das Rotlichtmilieu -
Grauzone am Rande der Legalität,
oftmals mit Verbindungen in ein
kriminelles Umfeld
|
|
Die Behörden tun sich schwer im Umgang mit
vermuteten Opfern und Tätern
In politischen und juristischen Gremien,
Büchern, Staatsverträgen oder Filmen
sowie an nicht minder zahlreichen Kongressen,
Tagungen und Ausstellungen sind die Bekämpfung
von Menschenhandel und Zwangsprostitution
Dauerthemen. Geht aber eine Frau zur Polizei und
macht eine entsprechende Anzeige, zeigen sich die
Behörden oft überfordert.
Es ist Ende August 2003, vormittags, als eine
junge Frau in Begleitung eines Paars den
Polizeiposten einer Gemeinde in der Agglomeration
Zürich betritt. Sie spricht Englisch und ist
sehr aufgebracht, ihre Begleiter springen als
Übersetzer ein. Die Frau gibt an, sie sei mit
falschen Versprechungen aus Rumänien in die
Schweiz gelockt worden. Der Mann, der die Reise
organisiert und bezahlt habe, eine Bekanntschaft
ihrer Mutter, habe sie nicht wie abgemacht als
Arbeitskraft in einer Bar eingesetzt, sondern in
sein Bordell gebracht, aus ihrem Pass die Seite mit
dem Visum herausgerissen, sie vergewaltigt,
eingesperrt und zur Prostitution zwingen wollen.
Nach zwei Wochen sei ihr heute die Flucht gelungen,
und sie wolle den Peiniger anzeigen: wegen
Menschenhandels, Vergewaltigung und versuchter
Zwangsprostitution. - Der Polizist weist sie ab.
Sie solle morgen nochmals vorbeikommen, und
überhaupt halte sie sich illegal in der
Schweiz auf.
Das Verfahren schleppt sich hin
Seit diesem unrühmlichen Vorfall sind bald
fünf Jahre verstrichen. Erst beim zweiten
Anlauf, als sie sich mit Hilfe einer anderen
Rumänin an einen Stadtzürcher
Polizeiposten wandte, konnte die heute
29jährige Frau ihre Anzeige tatsächlich
deponieren, wurde polizeilich befragt und an das
FIZ (Fraueninformationszentrum) weiterverwiesen.
Von da an habe sie das Gefühl gehabt, ernst
genommen zu werden, sagt die Rumänin, doch es
habe viel gebraucht und ohne die Hilfe von
Drittpersonen hätte sie das wohl nie
geschafft: «Wie soll das anderen Frauen
gelingen, Anzeige zu er statten, wenn sie weder
Englisch, Deutsch noch Französisch sprechen
und niemanden kennen in der Schweiz ausser ihren
Übeltätern?» Dabei beklagen die
Strafverfolger stets, wie schwierig es sei, im
Umfeld von Zwangsprostitution und Menschenhandel an
Informationen zu gelangen, Betroffene zu einer
Anzeige zu motivieren. Nach Schätzungen einer
interdepartementalen Arbeitsgruppe des Bundes
werden schweizweit pro Jahr rund dreissig Verfahren
wegen Menschenhandels geführt. Die
Bundesstatistik weist zwischen 1992 und 2006
fünfundvierzig Verurteilungen gegen
Menschenhändler aus.
Das Fraueninformationszentrum vermittelte der
jungen Rumänin einen Anwalt, eine
Psychotherapeutin und eine Unterkunft. Dennoch
befindet sich die Frau bis heute in einem labilen
Zustand, hat einen «Drogenabsturz» und
einen Selbstmordversuch hinter sich, ist
gesundheitlich angeschlagen. Sie leide darunter,
sagt sie, dass der Prozess immer noch ausstehe, die
Untersuchungen derart schleppend verliefen, ihr
Aufenthaltsrecht in der Schweiz gefährdet sei,
sie nicht arbeiten dürfe und deshalb auf
Sozialhilfe angewiesen sei - was wiederum dem
Migrationsamt einen Grund dafür liefert, die
Kurzaufenthaltsbewilligung nicht ein drittes Mal zu
verlängern. Ein Rekurs gegen diesen
abschlägigen Entscheid ist seit dem Juni 2005
beim Regierungsrat hängig, also seit bald drei
Jahren.
Widersprüchliche Interessen
wahren
Was die rumänische Anzeigeerstatterin im
Kanton Zürich erlebt, zeigt beispielhaft, wie
sich die Behörden schwertun, wenn es ganz
konkret um die Vorwürfe Menschenhandel und
Zwangsprostitution geht; abseits von
unzähligen Reden, Vorträgen,
Publikationen, Staatsverträgen, runden Tischen
und gutgemeinten Absichtserklärungen. Die
involvierten Behörden zeigen sich ob der weit
auseinanderklaffenden Interessen, die es zu wahren
gilt, und ob der meist unklaren Beweislage schlicht
überfordert. Im Fall der 29jährigen
Rumänin streitet der Schweizer
Bordellbetreiber sämtliche Anschuldigungen
kategorisch ab. Er war vorübergehend in
Untersuchungshaft genommen worden und befindet sich
längst wieder auf freiem Fuss. Seine Rechte
als Angeschuldigter müssen genauso
wahrgenommen werden wie die Rechte der
Anzeigeerstatterin. Es wurden unzählige Zeugen
befragt, die widersprüchlich aussagten. Bei
einer Razzia im Bordell waren fünf illegal
anwesende Frauen aus Rumänien und Mazedonien
angetroffen worden, darunter eine
Minderjährige. Sie wurden lediglich
polizeilich befragt und schnellstmöglich
ausgeschafft. Weder die Staatsanwaltschaft noch der
Geschädigtenvertreter konnten die
Prostituierten als Zeuginnen zum Vorwurf des
Menschenhandels befragen.
Das Dossier der 29-Jährigen liegt bei der
auf organisierte Kriminalität spezialisierten
Abteilung der Staatsanwaltschaft, nachdem ein
erster Ermittler wegen Befangenheit den Fall hatte
abgeben müssen. Im August 2006 wurde beim zu
ständigen Bezirksgericht Anklage gegen den
Bordellbetreiber erhoben, das Gericht wies die
Anklageschrift jedoch wegen Mängeln
zurück. Seit her ist nichts mehr geschehen.
Der Staatsanwalt macht für die
Verzögerungen einen längeren
Auslandaufenthalt geltend und die Tatsache, dass
die Rumänin wünsche, von einer Frau
befragt zu wer den, was ihr von Gesetzes wegen
zusteht. Bei jeder neuen Befragung muss deshalb
eine Staatsanwältin beigezogen und in den Fall
eingearbeitet werden. Es sei trotz diesen
Komplikationen wichtig, dass seine Mandantin mit
einer Frau reden könne, sagt der
Geschädigtenvertreter. Der Rumänin falle
es schwer, über das Geschehene Auskunft zu
geben. Sie müsse sich bei den Befragungen
übergeben, leide an Schüttelfrost und
Weinkrämpfen.
Angst vor Missbrauch
Als ob der Fall nicht schon kompliziert genug
wäre, kommt als weitere Schwierigkeit hinzu,
dass von den beteiligten Behörden (Polizei,
Staatsanwaltschaft, Migrationsamt) niemand weiss,
ob die Anzeigeerstatterin als mutmassliches Opfer
von Menschenhandel zu betrachten sei oder nicht.
Von dieser Frage hängt insbesondere das
Aufenthaltsrecht und damit verbunden die
Arbeitserlaubnis ab. Die Staatsanwaltschaft
vertritt die Meinung, man dürfe illegal
Anwesende nicht vorschnell als Opfer von
Menschenhandel betrachten, weil das dem Missbrauch
Tür und Tor öffnen könnte: neben der
Scheinehe eine weitere Möglichkeit, sich das
Recht auf Aufenthalt und Erwerbstätigkeit in
der Schweiz zu beschaffen. Solche Zweifel vonseiten
der Behörden führen dazu, dass sich die
29jährige Rumänin seit bald fünf
Jahren in der Schweiz aufhält, auf den Prozess
wartet, sich für Befragungen zur
Verfügung stellt, inzwischen Deutsch gelernt
hat und Arbeitsangebote ablehnen muss, weil sie
nicht arbeiten darf. In der zurückgewiesenen
ersten Fassung der Anklageschrift ist in ihrem Fall
Menschenhandel tatsächlich nicht eingeklagt -
was der Geschädigtenvertreter nicht
akzeptieren will. Bleibt am Rande zu erwähnen,
dass sich letztes Jahr sogar der damalige kantonale
Ombudsmann und heutige Regierungsrat, Markus
Kägi, mit einem Brief an den Kommandanten der
Kantonspolizei wandte und sich besorgt nach dem
Verlauf der Untersuchung erkundigte: Weil ihm
einige unschöne Ungereimtheiten zu Ohren
gekommen waren, unter anderem angebliche enge
Kontakte des Bordellbetreibers mit der Polizei.
Neue Zürcher Zeitung, brh., 31.
März 2008
|